Am vergangenen Montag war es mal wieder soweit: Die Welt blickte nach San Francisco, zur Auftakt-Keynote von Apples Wordwide Developer Conference (WWDC) im Moscone Center. Naja, eigentlich blickten alle nur auf die Tweets und Blogs einiger erlesener Szene-Journalisten, denn eine Live-Berichterstattung solcher Events gibt es bei Apple grundsätzlich nicht.
Vorgestellt wurde neben neuen MacBooks und dem kommenden Mac OS Mountain Lion vor allem iOS 6. Die neue Version des mobilen Betriebssystems für iPhone, iPad & Co ist erwartungsgemäß vollgepackt mit kleinen und großen Veränderungen – und wie immer überschlug sich die Szene bereits Sekunden nach den einzelnen Enthüllungen mit Kommentaren aller Couleur. Wie immer finden sich in diesen Beiträgen Begriffe wie “awesome” und “amazing”, selten auch mal “fantastic”. Aber nach dem unglaublichen Siegeszug der iDevices und der damit verbundenen, explodierten Nutzerzahl wächst in den letzten Monaten auch die Kritik. Dem echten Apple Fanboy ist das alles einfach nicht mehr gut genug, erhoffte quartalsmäßige Quantensprünge in der Technologie bleiben aus – was viele schon als Anfang vom Ende deuten. Nun, das lass’ ich mal alles auf mich zukommen. Die letzten 4 oder 5 Jahre haben gezeigt, dass die Jungs aus Cupertino mit vielen (nicht allen) Dingen letzten Endes doch nicht ganz falsch lagen.
Eine Einzelkritik an den vorgestellten Features wäre an dieser Stelle überflüssig, das Netz ist voll davon. Mir sind aber dennoch bereits während der Veranstaltung einige Sachen “zwischen den Zeilen” aufgefallen. Ja, auch ich habe versucht mit ständigem CMD+R aus der Fotostory auf de.engadget.com so etwas wie eine fast-live-coverage zu machen. Dabei gab es aus meiner Sicht zwei Schlüsselszenen:
Das BMW-Lenkrad
Zu sehen ist zunächst ein Lenkrad in einem BMW. Ein Finger drückt einen speziellen Siri-Knopf, der am angeschlossenen iPhone die entsprechende Funktion auslösen kann. Gut, den speziellen Button habe ich heute in meinem Audi noch nicht, aber Siri funktioniert über die gängige Freisprecheinrichtung dennoch schon heute erstaunlich gut. Was ist daran also neu? Mich überraschte die dann folgende Szene, in der die Logos der Automobilbauer gezeigt werden, mit denen Apple sich bereits in einer strategischen Partnerschaft befindet und mit denen man in den nächsten 12 Monaten “Amazing Things” realisieren möchte. Man stelle sich nun vor, Apple würde eine Art quasi-Standard für die Integration von Smartphones in Autos verbreiten. Einen Standard, der über Telefonie und Addressbucheinträge weit hinausgeht und App-Entwicklern die Tür zur sogenannten Car-IT öffnet. Damit hätten wir mit dem Autobau bereits die nächste Branche, auf die Apple – zunächst verkannt – entscheidenden, marktstrategischen Einfluss nimmt. Mich hat das umgehauen, zumal sämtliche Autobauer derzeit immensen Aufwand betreiben, um genau diese neue Dimension zugänglich zu machen: Das Auto ergänzt mit den schier unbegrenzten Möglichkeiten eines Smartphones, always-on natürlich.
Das Passbook-Icon
Ein neues App-Icon wird gezeigt, betitelt mit “Passbook”. Der Engagdet-Autor deutet dieses Icon zunächst als Passwort-Verwaltungs-Tools, wahrscheinlich synchronisiert über die Cloud. Leider falsch. Es geht um eine virtual Wallet. Ich werde nervös, denn wir warten ja nun schon etwas länger auf NFC im iPhone und die dazugehörige, virtuelle Bezahlfunktion. Aber auch das ist es nicht. Ganz banal sieht es nach den folgenden Ausführungen auf Screenshots zunächst nach einer Sammelstelle für eVouchers aus. Ein Freikaffee bei Starbucks, eine Rabattmarke für einen Buchladen, whatever…
Interessant wird es dann wieder, als man auch ein virtuelles Flugticket sieht und erläutert wird, dass man zu diesem Flugticket auch hochaktuelle Live-Informationen per Push-Service bekommt, z. B. im Falle einer Gate-Änderung. Apple plant offenbar, virtuelle Dokumente jeder Art mit den anderen verfügbaren Features des iPhones – also Push-Diensten, Geolokation, Kalender, Messaging, Kontakten zu koppeln. Könnte das zukünftig eine Plattform sein, auf der sämtliche derzeit verfügbaren Dokumente wie Vouchers, Boarding-Passes, Zugangscodes oder Konzerttickets einheitlich und standardisiert abgelegt, synchronisiert und mit lebendigen Features versehen werden können? Auch das wäre für mich eine kleine Revolution, denn wieviel haben wohl Firmen wie Lufthansa, Starbucks, Hotelketten oder Autovermieter in die Entwicklung individueller Lösungen investiert? Und mal ehrlich: Wer ist derzeit wohl in der Lage einen Standard für einen derart heterogenen Anwendungsfall zu etablieren, wenn nicht Apple?
Vielleicht treibt mich nur die Phantasie, aber bei vielen unterschätzten Entwicklungen von Apple hat sich erst einige Zeit später gezeigt, was sie wert sind: Das AppStore-Konzept, heute Basis einer ganzen Industrie. iBooks hat die Verlagsbranche nachhaltig beeinflusst, iTunes muss man garnicht erst erwähnen. Sicher sind mir die beiden Beispiele oben nur aufgefallen, weil wir uns bei CSC derzeit intensiv mit vergleichbaren Themen beschäftigen, aber ich finde die Innovationskraft von Apple zeigt sich nicht in der Einführung einer Stummschaltung des Telefons, wie es sie bei bei meinem ersten Handy – einem Nokia 2110 – auch schon gab. Es ist wohl eine geschickte Kombination der vielen Kleinigkeiten, mit denen Apple ein durchdachtes Ökosystem entwirft, das zunehmend grundlegende Bedarfe unseres Alltags abdeckt und so zu einer runden Sache wird.